Schulz: „eine krachende Niederlage haben hinnehmen müssen“
Gleich drei Infinitive hintereinander? Geht das? Martin Schulz kommentierte die verlorene Landtagswahl in NRW mit folgendem Satz: „Ich selbst stamme aus dem Bundesland, in dem wir heute eine wirklich krachende Niederlage haben hinnehmen müssen.“ (M. Schulz, 14.05.2017)
Was hat Schulz hier gemacht? Um das zu beantworten, muss man sich die Verwendung der Modalverben anschauen. Modalverben, wozu auch das Verb müssen gehört, variieren ausgedrückte Sachverhalte auf unterschiedliche Art und Weise. Welche Bedeutungen im Einzelnen möglich sind, habe ich im Beitrag zur Modalverb-Bedeutung erklärt. Im vorliegenden Fall verweist das Modalverb müssen auf einen Zustand, der durch äußere Umstände auferlegt wurde. Es besteht keine Möglichkeit, diesen Umstand zu beeinflussen. Das ist hier ganz konkret das Wählervotum.
Das Verb hinnehmen bedeutet so viel wie sich damit abfinden bzw. sich dem Umstand fügen. Verbindet man ein Verb mit einem Modalverb, so bezieht sich die Modalität des Modalverbs auf die Bedeutung des eigentlichen Verbs. Hier wirkt also die Einflusslosigkeit von müssen auf das Verb hinnehmen. Die Verbindung hinnehmen müssen bedeutet somit ich kann es nicht ändern und muss mich damit abfinden. Diese Kombination ist übrigens eine sehr geläufige Formel der deutschen Sprache. Hier finden sich viele weitere Beispiele von hinnehmen müssen.
„Ein Modalverb tritt in Verbindung
nie als Partizip II auf“
Doch wie verhält es sich mit der Häufung der Infinitive? Modalverben erfordern immer den Infinitiv des bedeutungstragenden Verbs. Das Verb hinnehmen tritt also immer unveränderlich als Infinitiv auf: er musste hinnehmen, sie müssen hinnehmen usw. Sind andere Zeitformen notwendig, wird das Modalverb gebeugt. Martin Schulz verwendet hier die 1. Person Plural Perfekt von müssen: wir haben gemusst. Diese wird durch die finite Form des Hilfsverbs haben gefolgt vom Partizip II gemusst gebildet. Nun kommt jedoch eine Besonderheit ins Spiel. Wird ein Modalverb mit einem anderen Verb verbunden, wird das Partizip II des Modalverbs durch dessen Infinitiv ersetzt. Es heißt also nicht *wir haben hinnehmen gemusst, sondern wir haben hinnehmen müssen. Man spricht dabei auch vom Ersatzinfinitiv.
Martin Schulz setzte seine Aussage aber noch in einen Nebensatz. Im Nebensatz steht das finite Verb immer am Ende (sog. Letztstellung). Hier beträfe das die finite Form des Hilfsverbs haben. Unter normalen Umständen würde der Nebensatz also *eine krachende Niederlage hinnehmen gemusst haben lauten. Durch den Einsatz des Ersatzinfinitivs entsteht eine krachende Niederlage hinnehmen müssen haben. Für den Einsatz des Ersatzinfinitivs gilt indes noch eine andere Regel. Und zwar ist der Ersatzinfinitiv immer der letzte Bestandteil einer verbalen Gruppe; auch im Nebensatz. Etwaig nachgelagerte Verbbestandteile wandern immer an den Anfang der Gruppe. Somit entsteht der von Schulz geäußerte Nebensatz eine krachende Niederlage haben hinnehmen müssen.
„Im Futur II folgen sogar
vier Verben aufeinander
“
Gleich drei Infinitive hintereinander? Geht das? Ja, es geht! Auch wenn es sich nicht direkt um drei Infinitive handelt. Das Hilfsverb haben ist hier eine gebeugte Form (wir haben 3. Person Plural), welche identisch mit dem Infinitiv haben ist. Hätte Schulz im Vorfeld von der Niederlage gewusst und seinen Auftritt im Futur II vorausgesagt, würden tatsächlich drei Infinitive und sogar ein weiteres, finites Verb aufeinandertreffen: (wir) werden eine krachende Niederlagen haben hinnehmen müssen.
Videoverweis Tageschau vom 14.05.2017 Minute 13:35 - 13:44